Goldene Fischaugen

Ich bin die Frau, die den geräucherten Fischen die Augen herausholt.
Makrelen, Bücklinge, Sprotten- alles mach’ ich.
Die Leute haben Angst vor den blinden vertrockneten Augen, es ekelt sie und dann kaufen sie den Fisch nicht, deswegen muss man die Augen entfernen.
Russische Frauen sind da anders, die ekelt gar nichts, was mit Fischen zu tun hat. Ich habe mich am Anfang auch geekelt, ich bin ja auch keine Russin, aber jetzt habe ich damit kein Problem mehr. Ich nehme die Augen einfach in einem alten Mayonaise-Eimer mit nach Hause. Ich habe schon eine ganz schöne Sammlung. Am Anfang wollte ich sie färben und als genmanipulierten Kaviar verkaufen aber dann habe ich sie liebgewonnen und mitlerweile türmen sich die Eimer bei mir in der Wohnung, dass ich gerade noch so durch gehen kann, ich komme in das gesamte Wohnzimmer gar nicht mehr rein.
Ich habe einen Mann kennengelernt, Manfred, aber zwischen uns geht es gerade nicht weiter, weil er mit seinem Bruder zusammen wohnt und ich will ihn nicht zu mir nach Hause bitten, er würde bestimmt denken, ich sei meschugge, soviele Eimer bei mir zu haben. Und dann noch mit so einem Inhalt.
Jetzt lebe ich halt mit meinen Augen zusammen, anstatt mit ihm.
Wenn es mir schlecht geht mach ich einen Eimer auf und zieh mir etwas Schönes an, und schon liegen Hunderte von Augen auf mir. Natürlich können sie mir nicht folgen, aber ich bleibe dann einfach vor dem Eimer stehen und hebe ein wenig die Arme.
Die Sprottenaugen sind so schön klein, davon habe ich immer eine Tupperdose neben meinem Bett stehen. Bevor ich zum Schlafen das Licht lösche, flüstere ich ein sanftes „Gute Nacht“ unter den leicht angehobenen Deckel. Auf der linken Seite vom Bett liegen drei Eimer wie ein langer Zylinder, darüber eine flauschige Decke, da kann ich mich dann in der Nacht dran-kuscheln und die Augen umarmen.

Ich hatte auch mal einen Goldfisch, einen echten, der lebte. Er hieß Fritzi. Aber ich habe es nicht ausgehalten. Es kam mir so ungerecht vor. Da habe ich von der Arbeit meinen Entauger mitgenommen, obwohl wir das nicht dürfen, Werkzeug vom Arbeitsplatz zu privaten Zwecken nach Hause tragen, aber es war ja nur für einen Tag. Als ich dann zuhause war, habe ich meinem Goldfisch die Augen raus genommen. Das hat mich ungeheuer beruhigt. Neben sein Glas stellte ich dann ein paar durchsichtige Schüsseln mit Augen. Fritzi ist dann auch bald gestorben. Ich habe ihn den Männern von der Räucherei gegeben und am nächsten Tag zum Frühstück gegessen. Ich hatte auch mal überlegt mir einen Dackel anzuschaffen, aber das konnte ich mir dann doch nicht vorstellen.
Der Geruch stört mich nicht, im Gegenteil. Dadurch, dass er auf der Arbeit und Zuhause ist, fällt er mir gar nicht mehr auf. Wahrscheinlich rieche ich schon selbst danach, aber dem Mann scheint es zu gefallen.
Wie geht noch mal der Witz mit dem Blinden im Fischladen? Was sagt er? Na Mädels! Alles klar? Männer sind schon komisch. Ganz ehrlich: Ich habe Männer nie verstanden. Bei Fischen weiß man einfach woran man ist, vor allem, wenn sie geräuchert sind.
Viertausend Fische schaffe ich jeden Tag. Jeden Abend kann ich achttausend Augen nach Hause mitnehmen. Und wenn meine Kollegin dran ist, kriege ich ihre Augen auch. Sie stellt sie mir immer unter das Fließband, die versteht das. In der Räucherei hat, glaube ich, jeder eine Macke. Manfred arbeitet leider nicht in der Räucherei. Ich sollte lieber nach einem unverheirateten Ausnehmer Ausschau halten als mit einem Plastikeimervertreter rumzumachen.




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