"Häutungsprozesse"
Dieser Artikel erschien im November 2011 in der Figurenzeitschrift „Double“ im Verlag „Theater der Zeit“, geschrieben von Anna Peschke „Titania tanzt für einen Esel“ (AT) ist eine Koproduktion von Anna Peschke (Regie) und Antje Töpfer mit dem FITZ! Zentrum für Figurentheater Stuttgart. Dieses Stück, das im Januar 2012 im FITZ! Premiere haben wird, versucht mit den Mitteln des Figurentheaters und des physical theaters eine Annäherung an die weibliche Sexualität zu finden, an die Fragen nach Weiblichkeit und Körperlichkeit, die selbst in post-feministischen Zeiten immer noch offen sind, da sie jede Frau für sich neu stellt und beantwortet. Vielleicht bedeutet Emanzipation eben gerade einen nicht-endenden Prozess, der immer wieder kehrt und der immer wieder aufs Neue Fragen aufwirft. Wie verändert sich das eigene Selbstbild als Frau, wenn man sich seinen eigenen Trieben ausliefert, wenn man sich auf die Suche nach einer puren Sexualität macht? Solch eine Konfrontation kann bereits mit einer erweiterten Wahrnehmung des eigenen Körpers beginnen. Um diese Wahrnehmung darzustellen wählen wir die Beschäftigung mit Puppen bzw. Puppenkörper-Fragmenten. Diese „konstruierten“ Körper können es uns ermöglichen, den eigenen Körper zu erweitern und über seine eigenen naturgegebenen Grenzen auszudehnen. Das Motiv der Ausdehnung findet sich bei uns auch über das Organ der Haut: In der Beschäftigung mit der Geschichte „Die Eselshaut“ von Charles Perrault wird die eigene Haut um die Haut eines Esels erweitert und gedoppelt. Diese Tierhaut wird in seiner verhüllenden Funktion zum Schutzraum. Die Eselsfrau weigert sich, Teil des Spiels um erotische Anerkennung und Begehrt-Werden zu sein. Sie versteckt sich vor den Blicken hinter einem russvermierten Gesicht und unter einem Eselsfell. Antje Töpfer wird zur Frau ohne Gesicht, ein Schatten. Ein blinder Fleck aus Asche verhüllt das Angesicht. Der gesichtslose Körper erscheint als etwas tierhaftes, monströses, triebgesteuertes, ausgeschlossenes. Das (weibliche) Fremde in uns, im eigenen Körper, unter einer zweiten Haut. Die Parallelgeschichte zur „Eselshaut“ stellt die Geschichte um Titania, der Elfenkönigin aus Shakespeares „Mitsommernachtstraum“dar: Titania verliebt sich in einen Mann mit einem Eselskopf und findet sich daraufhin in der Situation, ihre (auch sexuelle) Beziehung zu ihrem Ehemann Oberon überdenken zu müssen. Haut ist das verbindende Element der beiden Charaktere: Anna Peschke benutzt Häute als kleidungsartige Körperfragmente, die verhüllen und entblößen, die zu Bildern des Verlangens werden. Zerschnittene Love-Dolls aus Plastik und deren gespiegelte Entsprechung aus Stoff werden in verschiedenen Anordnungen zu Konstruktionen des Begehrens. Wohin wandert der Blick? Auf die nackten Körperteile oder auf den Körper, der von ihnen verdeckt wird? Wann werden Puppen-Körperfragmente vom Zuschauer als Symbole für Körperlichkeit und wann als Erweiterung des Spielerkörpers wahrgenommen? Können Puppen und Puppenkörper-Fragmente einen anderen Zugang zu Nacktheit ermöglichen? Ist man nicht mehr „ beschämend ausgezogen“, wenn eine Puppe als Stellvertreter sich die Blöße gibt? Die Puppe ermöglicht durch den konstruierten Figurenkörper einen distanzierten Blick auf den eigenen Körper. Betrachtet man sich schweigend und nackt im Spiegel, befühlt Rippen, Falten und Speckrollen, steigt der Unglaube, wirklich dieses Bild dort im Spiegel mit Seele und Fleisch auszufüllen. Als Puppenspieler lässt sich hier jedoch die Frage nach der „Echtheit“ des eigenen Körpers, nach dem Unglauben noch weiter umdrehen und ins Absurde wenden. Ja, man ist dieser Körper, den man dort gespiegelt sieht, man ist aber auch der genähte, gebaute, deformierte, überdimensionierte Puppenkörper, den man in der Hand hält, auf den man schaut. Man kann den variierenden Wahrnehmungen des eigenen Körpers Ausdruck verleihen, man kann die Momente, wo man sich dünnhäutig, klein, schwammig oder steif fühlt, in einen (Figuren-)Körper übersetzen. Über diesen Prozess des Figuren-Bauens kann auch eine Auseinandersetzung mit der Konstruktion der eigenen Weiblichkeit stattfinden. Aufs neue zusammengesetzte Körper, aus Fleisch, gegerbten Eselshäuten, Plastik und Nesselstoff, werden zu Masken, das wahre Gesicht mit einer Nagelschere freilegend, ein blankes Wesen. Es schaut uns an mit dunklen Augen, aus Asche gezeichnet, mit den Toden schreiben wir unseren neuen Körper, mit unseren Bildern und unserem Begehren füllen wir ihn. Es werden in unserem Stück nicht Puppen mit eigenen Charakteren animiert, sondern Puppenkörper und deren Fragmente werden zur Erweiterung des präsenten Spieler-Körpers benutzt. Diese Versatzstücke machen sich wiederum den MenschenKörper zu Eigen. Es soll jedoch nicht nur um die Auseinandersetzung mit der eigenen, weiblichen Sexualität gehen, sondern auch die Frage, wie man sich als Frau zum Mann positioniert. Wie verhält es sich mit der neu erfundenen Weiblichkeit, wenn sie sich mit einem Mann konfrontiert sieht? Inwiefern ändert ein männlicher Counterpart die Eigenwahrnehmung? Verfällt man durch diese männliche Ko-Präsenz wieder in lang antrainierte Rollenverhalten Der schwedische Künstler und Performer Martin Christensen wird den beiden Spielerinnen hierbei nicht nur eine physische Gegen-Präsenz bieten sondern auch durch seine Bühnenbild-Arbeit verschiedene Räume schaffen, in denen diese Situationen stattfinden. Die Geschichte um Titania steht jedoch auch in einem sexualisierten Machtdiskurs: Titanias Ehemann Oberon macht ihre sexuelle Erfahrung als Entgleisung von der sexuellen Norm lächerlich und demütigt sie, um sie sich gefügig zu machen. Titania spielt das Spiel um Macht über den Körper des anderen und die erotische Aneignung und Enteignung bis zu einem gewissen Grade mit. Im Spiel zwischen Titania und Oberon geht es um Macht, Anerkennung, sexuelle Dominanz und Begierde. Im Spiel zwischen Titania und dem Esel werden soziale Machtspiele obsolet und die Reflexion verlagert sich auf eine nicht vom Verstand dominierte Ebene. Schlussendlich sucht sie die Auseinandersetzung mit sich selbst, mit sich als einer Anderen- in einer Spiegelung. Diese Spiegelung besteht in der Konfrontation mit der Eselsfrau und in dem Umgang der gespiegelten Körperfragmente. Das Erblicken des Anderen als das Erkennen des Selbst - eine Möglichkeit der Selbstkonstituierung. |
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