Theater heute (April 2011)

So leise, fragile und nach innen gewandte Vorgänge, mit denen sich Anna Peschkes Käppkkra in seinen Bewusstseins-Raum auf der Bühne zurückzieht, gehen allerdings im Wahrnehmungsmodus 100 Grad fast unter.
Irgendwie ist dieses Bewusstsein aus seiner Welt gefallen, in tiefere Schichten abgerutscht und schwebt im zeitlosen Transit unter dem Sternenhimmel aus Glühlampen. Ein Raum wie ein Echo, angefüllt mit Koffern und Ritualen, in dem künstliche Vögel zwitschern und Pappschmetterlinge nicht fliegen. Kein Mensch in Sicht, nur Objekte in Serie – Briefe und elektrisch verdrahtete Puppenteile – und die eigenen Stimme, gesampelt und geloopt, mit denen sich die Darstellerin berührt und verbindet. Ebenso poetisch wie unpathetisch legt Käppkkra die Mechanik der Melancholie frei: stille Appelle an Objekte und Rituale, das Leben zu vertreten und Gefühle in sich aufzuheben. − Wer Angst davor hat, zu gehen, wird am Wunsch scheitern, zu fliegen.
Von Anja Quickert




Frankfurter Neue Presse (23.01.2010)

Anna Peschkes Performance „Käppkkra“ kultivierte im Mousonturm Frankfurt die Aufmerksamkeit für das skurrile Detail.
Man kennt die Strategie von Stotterern: Wer Probleme mit Wörtern auf „G-“ hat und an „großen Geldgaben“ zu scheitern erwartet, laviert sich zur Not mit „beträchtlichen pekuniären Zuwendungen“ um seine Hürde herum. Hat einer Angst, mit dem linken Fuß auf Bodenplattenspalten zu treten (so gibt uns die 31-jährige Theaterkünstlerin im Feld der Installation, Collage und Kurzgeschichte auf den Weg), dann hilft es, zwei rechte Schuhe anzuziehen. Dass Angst ein Hauptthema in „Käppkra“ ist, könnte dem Zuschauer aber leicht entgehen, weil die Tic-artige Abbiegung des unliebsamen Affekts in Meidungs- und Umgehungsverhalten ihn selbst ins Unkenntliche abbiegt.
Diese Objektivierung macht Peschkes Kosmos aus selbstgefertigten, skurril-grotesken Objekten umso fesselnder. Neben diversen Koffern, die für eine Transit-Atmosphäre der Flucht und des Unsteten sorgen, Zollstöcken, die das seelisch Bedrängende ingenieursmäßig in Zahl und Maß bannen, und dem Schreibtisch nebst Hochregal als installativem Hauptelement finden wir uns einer Fülle seltsamer Dinge und ihren Ordnungen ausgesetzt: Magnetspulen mit Puppenkopf, einem HO-Modellhaus, einem amtsautoritativen Telefongebührenzähler und Postsortierregal, Scherenschnittschmetterlingen mit ihrer Potenz zur Metamorphose (Doctor Lecter lässt grüßen), Listen, am Faden aufgereihten Schlüsseln, einer Serie mechanischer Glücksspiel- und Zufallsmaschinen - Würfelbecher, Lostrommel, Abrollbahn für Glaskugeln. Wenn Anna Peschke, deren Name als Anapäst sprechbar ist, unter dezent „Nussknacker“-haften Spieluhrklängen in immer neuen Runden ihre Rituale abspult, hat das viel von der kinetischen Kunst Tinguélys, signalisiert aber auch Sehnsüchte nach Bergung und Bewahrung, den Rückzug aufs sichere Ich und eine kauzig-melancholische Obsession von der fantastischen Welt des Kleinen. All dies ist ganz ihr eigen, nie gesehen, kurz: originell.
Von Marcus Hladek




Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (24.01.2010)

„Pfeifen im Walde“

Anna Peschke spielt mit 1000 Requisiten im Mousonturm

Wenn man Angst davor hat, mit dem rechten Fuß auf die Spalte zwischen zwei Bodenplatten zu treten, hilft es, sich zwei linke Schuhe anzuziehen.“
Könnte ein Trick sein, um mit einer Zwangsneurose oder einer der vielen hundert Phobien umzugehen, die immer mal wieder gern zu möglichst langen Listen zusammengefasst werden.
Anna Peschkes ebenso rätselhaft wie poetisch-lautmalerisch „Käppkkra“ genannte Performance, die nun als Koproduktion im Frankfurter Mousonturm zu sehen war, ist allerdings eher das Gegenteil einer hilfreichen Handlungsanweisung gegen die Phobophobie, die Angst vor der Angst.
Vielmehr erscheint sie erst recht wie eine Aneinanderreihung komplexer Zwangshandlungen. Ein hermetisch abgeschlossenes, selbstgenügsames Stückchen Theater, dessen Zauber man sich dennoch nicht entziehen kann. Dass die junge Regisseurin, Performerin, Bastlerin Peschke, eine zarte Erscheinung mit um den Kopf gewickelten Zöpfen, mit einem geradezu kindlich-heiligen Ernst ihre Rituale absolviert, der sich, ganz zum Schluss, in einem beinah schüchternen Lächeln auflöst, trägt sicher nicht unerheblich zum Charme des Abends bei.
Peschkes „Käppkkra-Tütchenbrille“, die man am Ausgang mitnehmen darf, könnte den einen oder anderen zu der Frage bewegen, wann er oder sie mal mit dieser Angsthasenbrille aus knisterndem Pergamentpapier die Welt da draußen fortschließen würde.
Vielmehr scheinen dann die surrealen Bilder wieder auf, die Peschke aneinanderreiht: Puppenköpfe mit Schmetterlingsmasken, eine Taschentuchtasche oder ein Brillenrad holt sie hervor; als running gag tauchen allenthalben leere Briefumschläge auf, die sie akribisch untersucht. Peschke hat für ihre Diplominszenierung am Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaften eine Unzahl von Objekten zu einer Rauminstallation zwischen bildender und darstellender Kunst zusammengestellt. Licht und Ton (Musik: Oliver Urbanski) sind untrennbar mit den minutiösen Abläufen verbunden. Das Einstudierte der theatralen Handlung wird so mit einem festen Ablauf der Zwangshandlung zusammengeführt.
Unter einem Himmel aus Glühbirnen tritt Peschke mit einem trillernden kleinen Nippesvogel in Dialog – waldmännisch mit Lodenjacke und Lockpfeifen ausgestattet. Aus der künstlich erzeugten Waldidylle wird ein Pfeifen gegen die Angst oder mit ihr.
Von Eva-Maria Magel